It’s a material world - diese Weisheit ist
nicht erst seit Madonnas Hit bekannt und in Deutschland auch als „hast'e
was, dann bist'e was“ verbreitet. In diesem Spiel mußt'e eben möglichst
schneller als die anderen möglichst viele Schätze und Konsumgüter
anhäufen, dann bist'e Sieger - um es mal auf einen kurzen Nenner zu
bringen. Das hört sich simpel und nicht sonderlich originell an, hat
aber im Rahmen dieses Spiels allemal einigen Reiz zu bieten. Material World
könnte man als Wirtschaftsspiel mit einem Schuß Risiko bezeichnen,
oder auch als strategisch/taktisches Entwicklungsspiel mit vielfältigen,
relativ einfachen Mechanismen, welches sich aber zunächst etwas sperrig
präsentiert und sich nicht gerade leicht erschließt. Das äußert
sich in manchen durchaus witzigen, man könnte auch sagen eigenartigen,
Regeldetails und auch in der Regel selbst, die zwar letztendlich keine
Fragen offen läßt, aber stellenweise etwas unorganisiert erscheint
und manche wichtigen Punkte in unauffälligen Nebensätzen versteckt
- und
das auch noch ab und zu in Abschnitten, wo man diese Information nicht
unbedingt vermuten würde. Maximal und optimal fünf Mächte
(Spieler), alle ausgehend von Europa, dehnen ihren Machtbereich über
den gesamten Globus aus und versuchen dabei möglichst viele Rohstoffquellen,
Schätze und Konsumgüter zu ergattern bzw. diese den Gegnern vorzuenthalten
oder abzunehmen. Die Rohstoffe bilden den Motor des Spiels, d.h. Kapital,
Schätze und Konsumgüter benötigt man, um seiner Bevölkerung
einen möglichst komfortablen Lebensstandard zu ermöglichen, wodurch
man die Siegpunkte einfährt. Schätze und Rohstoffe kann man nur
gewinnen, wenn die jeweiligen Quellen durch eine lückenlose Handelsroute
mit dem Heimatland verbunden sind, während Fabriken für die Konsumgüter
ausschließlich im Heimatland gebaut werden. Einkommen, und dadurch
hoffentlich steigende Vorräte, markiert jeder Spieler auf einer eigenen
Übersichtstafel, die vorbildlich sämtliche Kosten auflistet.
Kaufen kann man u.a. (eigenartigerweise) neue Bevölkerungen, Transporteinheiten
für die Handelsrouten, Fabriken, Militär und auch neue Entwicklungsstufen,
die wiederum z.B. den Kauf besserer Transporte oder auch schlagkräftigeren
Militärs ermöglichen. Bezahlt wird alles mit den Rohstoffen,
wobei mit bestimmten Rohstoffen oder deren Kombinationen dieses, mit anderen
jenes erworben wird. Eine zentrale Rolle spielt die Bevölkerung, denn
deren Größe bestimmt einerseits, wieviel „Dinge“ man kaufen
kann, vorausgesetzt man hat die nötigen Rohstoffe, und sie bildet
andererseits ein Grundkriterium für die Siegpunkte. Die gibt es für
die Realisierung bestimmter Lebensstandardlevels. Solch ein Level ist dadurch
definiert, daß man genauso viele verschiedene Schätze und/oder
Konsumgüter besitzt wie man Bevölkerungsspielsteine hat. Bei
beispielsweise zwei Bevölkerungen braucht man also von drei verschiedenen
Schätzen/Konsumgütern jeweils zwei, um einen Lebensstandard von
drei zu erreichen. Der erste Spieler, der solch ein Level erreicht, erhält
drei Punkte, der zweite zwei und der dritte auch noch einen. Geringe Bevölkerung
läßt zunächst den Lebensstandard schnell wachsen, schränkt
aber das absolute Wachstum ein - zahlreiche Bevölkerung hingegen rückt
den allgemeinen Wohlstand in weitere Ferne, kann aber schließlich
mehr Power bringen. Da gilt es, die goldene Mitte zu finden - sofern die
anderen das zulassen. Das Spiel endet, sobald ein Spieler es erstmals schafft,
seinen Leuten den Lebensstandard des sechsten Levels zu ermöglichen.
Es würde viiiiieeeel zu weit führen, wollte ich noch mehr in
Details gehen, deren es reichlich gibt. Das Wort "eigenartig" fiel bereits,
allerdings nicht im negativen Sinne. So gibt es Karawanen, Schiffe und
Eisenbahnen als Transportmittel, aber auch die Bevölkerung dient als
solches, und das gleich zweifach, nämlich auch als Eisenbahn, welche
wiederum spezielle Bewegungsmöglichkeiten bietet. Das Militär
weist unter anderem neben einfachen Reitersleuten auch große Schlachtschiffe
auf. Die Spitze der Eigenartigkeiten ist der - übrigens schöne
und sehr bunte - Spielplan: Obwohl, irgendwie und grob gesehen, das Ganze
wohl zu Beginn des Industriezeitalters angesiedelt sein soll, gibt es in
Nordamerika nur Gegenden wie Sioux Nation, Navajoland oder Vinland und
der australische Kontinent heißt hier Uluruland.
Kluges, wohlüberlegtes Vorgehen ist nötig, um hier im Vorderfeld
mithalten zu können, es gibt viele Faktoren gegeneinander abzuwägen,
dabei eine gute Balance zwischen internem ökonomischem und territorialem
Wachstum und externem militärischem Gleichgewicht zu halten. Das Glück
spielt eine untergeordnete Rolle, genau wie der militärische Aspekt,
bei dem sich Fortuna in Form von einfach auszuführenden Würfelkämpfen
einen kleinen Platz im Spielgeschehen sichert. Krieg ist teuer, wer zu
sehr aufrüstet, vernachlässigt seine wirtschaftliche Entwicklung
und bringt damit sich und seinen Gegner ins Hintertreffen gegenüber
den lachenden Dritten, Vierten und Fünften. Vorsichtige, vorrangig
der Absicherung dienende Maßnahmen können aber sinnvoll sein,
ebenso wie heimliche oder offene Bündnisse und Absprachen. Motto:
Wer zuerst schießt, hat so gut wie verloren - oder frei nach Kollege
Oliver: Die Drohung ist oft wirkungsvoller als die Ausführung. Wie
eingangs geschrieben, hat Material World zweifelsohne seine Reize, auch
wenn es stellenweise etwas zäh sein kann - dies auch abgesehen von
dem nicht einfachen Einstieg. Es hat in unseren Runden weder helle Begeisterungsstürme
ausgelöst noch krasse Ablehnung erfahren und fand, je nach Spielernatur,
mehr oder weniger freundliche Akzeptanz. Mir gefällt es eigentlich
ziemlich gut - eigentlich, aber... Ein Manko ist nicht zu übersehen:
Die insgesamt 840 (!) Counter sorgen im Laufe des Spieles für zunehmende
Unübersichtlichkeit, sowohl auf der Einkommenstafel, als auch vor
allem auf dem sehr bunten Spielplan, auch wenn wohl kaum jemals alle zum
Einsatz kommen. Deshalb, und weil es letztendlich trotz mancher seltsamer
und ungewöhnlicher Details nichts grundlegend Neues bietet, fällt
die Note nur durchschnittlich aus. Ein clever ausgeklügeltes Spielsystem
und gutes Material sorgen für einen runden Gesamteindruck, und für
Freunde längerer (3 - 4 Stunden) Spiele, die gerne überlegen
und taktieren und auch vor einer Riesenmenge Counter nicht zurückschrecken,
ist Material World durchaus einen Versuch wert. Ich kann keinesfalls abraten,
allerdings auch nicht heftigst empfehlen.